1984 streichen   Austria   1983

Romana SCHEFFKNECHT  

Nur Fragmente des Redeflusses werden erinnert - Fragmente aus einem manifestartigen, feierlich verlesenen Text, der als Voice Over das Video "1984 streichen" markant macht. Hier wird etwas verkündet, das zu seiner Entstehungszeit zum allgemeinen Tenor gehört und gepasst haben wird oder jedenfalls eine konzise Haltung zum Tatbestand der Zeit eingenommen hat: "es ist alles wahrscheinlich und nichts möglich. ein leben im konjunktiv. überleben nur als möglichkeit. es gibt keine gefahr. nur die wahrscheinlichkeit beschäftigt uns. die schwimmweste hängt im schrank neben dem feuerlöscher. in gedanken sind alle verkehrungen getroffen. alle moeglichkeiten kalkuliert. bereit fuer alle katastrophen." (Text: Ecke Bonk) Predigtähnlich wird hier zum partiellen Verlöschen und sich wieder Zusammenfügen der grünen digitalen Ziffern "1984" etwas beschworen - eine eher lakonische Standortbestimmung angesichts von Sicherheitsmassnahmen Notfall Alarm und Gefahr - angesichts einer Gesellschaft, die sich der Dystopie eng verbunden fühlt und in Katstrophenplänen schwelgt.
Geplant war (laut Auskunft von Romana Scheffknecht), den Txt als Anzeige im deutschen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" zu publizieren - ein Vorhaben, das dann aber finanziell nicht durchführbar war.
"1984 streichen" hat als Anknüpfungspunkt eine konkrete Jahreszahl und den dystopischen Roman "1984", der von George Orwell 1948 verfasst wurde und dessen Vokabular beziehungsweise Begrifflichkeit zu einer popkulturellen Referenzgrösse geworden ist (u.a. Big Brother, Neusprech / Newspeak als die euphemistische Diktion totalitärer Systeme). Bei Orwell ahndet der Staat vor allem "Gedankenverbrecher" und "Gedankenverbrechen" - sozusagen identifiziert die staatliche Ordnungsgewalt jene als "Terroristen", die sich herrschenden Sprachordnungen nicht unterworfen haben und somit im Verdacht stehen, abweichende Sinnstrukturen zu entwickeln beziehungsweise sich an solchen zu orientieren. Das Heraufbeschwörung und die Art ritueller Bannung sind eine Form sozialer Einübung in die jeweiligen Phantasmen, die eine Kultur erzeugt und über die sie sich alarmiert zeigt.
"1984 streichen" trägt den Untertitel "Proben für ein Finale" und der gesprochene Text versteht sich in all seiner Maniriertheit deutlich als paradoxes Manifest: Die bewusst mechanisierte Sprecherinnenstimme erzeugt einen hypnotischen Duktus. Der thesenhafte Text ist poetisch und pathetisch. Die immer wieder langsam sich aufbauenden und verschwindenden grünleuchtfarbenen "Digits" werden teilweise mit einem schwarzen Rechteck elektronisch überdeckt. Die Forderung nach einer Streichung der Dystopie und der Unmöglichkeit ihrer Auslöschung wird so visuell manifest.
(Judith Fischer)


Ausstellungen

Städtische Galerie im Lenbachhaus, München/BRD 1983

Lenbachhaus, München, Germany

Spezifikationen

6min stereo Farbe PAL

Technisches Protokoll

U-matic

Mitarbeit

Programmierung: Gustav Graf. Sprecherin: Anne Huber. Text: Ecke Bonk.

Produktion

Buero Wien & Nuova Bureau, Paris

Postproduktion

Romana Scheffknecht

Copyright

Romana Scheffknecht & Ecke Bonk

Sichtungskopie

Niederösterreichisches Landesmuseum, St. Pölten, Medienkunstarchiv Wien

Ecke Bonk: Text zu "1984"