Einschnitt   Austria   1978

Marina ABRAMOVIC   ULAY  

Zwei Personen-Performance, die so lange dauert, bis die Aktion von einer dritten Person (hier aus dem Publikum) unterbrochen wird. Das zeitliche Limit wird durch eine psychisch-physische Dimension gesetzt.

Performance-Protokoll:
Ein nackter Akteur (Ulay) steht an der Galeriewand. Entlang dieser Wand, hinter dem Akteur, ist auf Hüfthöhe ein doppeltes Gummiseil gespannt, dessen einer Strang um Ulay herum gelegt wurde. Dieser beginnt langsam ein paar Schritte in den Raum hinein zu gehen, bis sich das Seil so stark spannt, dass der Akteur nicht mehr weiterkommt. Er wird durch die Spannung des Seils zurückgeworfen und geht ein paar Schritte rückwärts zur Wand. Kurze Pause, dann beginnt die Sequenz von vorn.
Etwas seitlich auf der rechten Seite vorn steht Marina Abramovic (angekleidet) und blickt teilnahmslos vor sich hin. Sie bildet den passiven Gegenpol zu Ulays Aktivität. Man merkt, dass die Bewegungen für den Akteur durch die Anstrengung zusehends schwieriger werden. Die Kamera bleibt, bis auf einen einmaligen Wechsel zur Seite, statisch auf demselben Standort. Ungefähr nach zwanzig Minuten entsteht eine abrupte Bewegung, als ein Mann aus dem Publikum aufspringt und Abramovic mit einem Fusstritt umwirft. Diese erhebt sich von neuem und nimmt ihre ursprüngliche Position wieder ein. Ulay dagegen verrichtet seine Sisyphos-Bewegung weiter und versucht immer wieder, seinen Aktionsradius etwas auszudehnen, indem er weiter in den Raum hinein geht und das Seil mehr und mehr strapaziert, wodurch gleichzeitig auch die ?Einschnitte? auf seinem Körper tiefer werden.
Die Performance wird so lange durchgeführt, bis die Frau den Kopf dreht und in Richtung des Mannes blickt. Beide halten inne und gehen ab.

"Einschnitt" war die 14. Zusammenarbeit von Marina Abramovic und Ulay seit dem Beginn ihrer gemeinsamen Aktionen 1976. Ihre Performances waren stark geprägt vom Thema ihrer Beziehung und von der Überwindung körperlicher Grenzen. Das Aushalten physischer Extremsituationen bis zur Erschöpfung und die enorme psychische Anspannung bildeten starke Identifikationsmomente, die sich auch auf das Publikum übertrugen. Ein formales Element, das im feministischen Aktionismus dieser Zeit eine wesentliche Rolle spielt, ist bei Abramovic/Ulay (so auch in "Einschnitt") die Betonung der Blickachsen zwischen den Akteuren und deren Wechsel. Eine zweite Performance von Abramovic/Ulay im Rahmen des Internationalen Performance Festivals fand auch in Wien statt, am 22. April in einem ehemaligen Reitinstitut in der Barmherzigen Gasse im 3. Wiener Gemeindebezirk.
(Patricia Grzonka)

?Die Funktion des Künstlers ist die Funktion des Dieners.? (Marina Abramovic in "Blut & Honig, Die Zukunft ist am Balkan", Slg. Essl, Klosterneuburg 2003)

Interviews mit Marina Abramovic in:
Performance Ritual Prozess. Handbuch der Aktionskunst in Europa / Elisabeth Jappe, München 1993
Performance - Eine andere Dimension / Hrsg. Künstlerhaus Bethanien Berlin, Berlin 1983


Ausstellungen

Internationales Performance Festival 1978

Galerie H, Graz (ST), Austria

Österreichischer Kunstverein, Wien, Austria

Spezifikationen

stereo Farbe PAL

Technisches Protokoll

Sony U-matic 3/4 inch (Aufnahme; Master)

Live-Performance am 18. April 1978 im Speisesaal der Schuhfabrik Humanic in Graz, im Rahmen des Internationalen Performance Festival 1978; zwei Akteure, ein gespanntes Seil, ein Beteiligter aus dem Publikum

Produktion

MAZ-Technik Wien

Förderung

Humanic

Edition

Österreichischer Kunstverein (1978)

Copyright

Galerie H (Humanic), Graz

Sichtungskopie

Galerie Krinzinger, Wien

Zu dieser Performance aus der "Neuen Zeit" 20.4.1978
Zum Internationalen Performance Festival 1978