Sprache der Behinderung   Austria   2001

Julius DEUTSCHBAUER   Gerhard SPRING  

Zwei Teile von dreißig: Hasenscharte und Hämorrhoiden

?Sprache der Behinderung? haben Julius Deutschbauer und Gerhard Spring eine Serie von dreißig Texten benannt, die verschiedene physische und psychische menschliche Handycaps oder eben ?Behinderungen?, zum Thema haben: Blindheit, Sprachstörungen, Verlust einzelner Körperteile, aber auch vergleichsweise banale Defekte wie Hämorrhoiden oder einfach ?Kranksein". Grundlage der Texte sind fiktive Interviews, die jeweils zwischen einem namentlich genannten Behinderten und einem anonymen Gesprächspartner (ein Künstler?) geführt werden. Alle dreißig Dialoge wurden inszeniert und als szenische Lesungen vor der Videokamera dargestellt.
Die Texte, deren Autoren Gerhard Spring und Julius Deutschbauer sind, gehen meist weit über die Beschreibung der Behinderung hinaus und behandeln alle möglichen lebensweltlichen und privaten Probleme. Hinter der "Sprache der Behinderung" manifestiert sich oft eine ganz andere, ideell festzumachende Sprache: die der sozialen Unterdrückung oder des religiösen Wahns beispielsweise. In "Hasenscharte" dreht sich das Gespräch zwischen Norbert Wolfgruber und dem Interviewer um genetisch bedingte Veranlagungen von Behinderungen, um das Geburtstrauma der Eltern, den Werdegang des Sohnes als Sprechstundenhilfe bei einem Kinderarzt und um die unterschiedliche Lautbildung bei Vokalen und Konsonanten. "Eine Hasenscharte ist eine sehr ernste Sache." (Norbert Wolfgruber) In "Hämorrhoiden" wiederum unterhält sich der Fragensteller mit Gottfried Reger. Hier ist die Rede von richtiger Ernährung, von möglichen Ursachen für Hämorrhoiden und von "Lanaklana", dem Palindrom des Wortes Analkanal. Gottfried Reger: "Napoleon hat trotz seiner Hämorrhoiden einiges zustande gebracht."

Die entstandenen Videos folgen alle demselben kargen Inszenierungsschema, das die zwei Protagonisten als Brustbilder hinter einem Tisch sitzend zeigt, - das Aufnahmemikrophon als einziges zusätzliches Ausstattungsutensil. Eine Art ?Dokumentarstil? wird hier suggeriert, der umso weniger authentisch ist, je barocker die verwendete Sprache wird. Neben der unmittelbaren Form des Gesprächs zwischen Behindertem und Nichtbehindertem bezeichnet "Sprache der Behinderung" noch etwas weiteres: eine formale Nachahmung. ?Sprache der Behinderung? bezieht sich auch auf eine Ausstellung des österreichischen Konzeptkünstlers Rainer Ganahl, der in einer großangelegten Recherche Emigrierte und während der NS-Zeit aus Österreich Vertriebene besucht und interviewt hat - Titel der Arbeit: ?Sprache der Emigration?.
Auf dem Höhepunkt der "Political Correctness"-Welle, die auch vor engagierten Kunstprojekten nicht Halt gemacht hat, eignen sich Deutschbauer/Spring deren Verfahren in einem Akt der kreativen Kunstnachahmung an. Nicht um diese Praxis zu demontieren, sondern vielmehr um persiflierend einzugreifen und ?die Beeinflussung durch Kunst zum besseren Verständnis zu thematisieren? (Deutschbauer/Spring). (patgrz)


Ausstellungen

Sprache der Behinderung (5. 9. bis 29. 9. 2001), 2001

Galerie Cult, Wien, Austria

Spezifikationen

13min 48sec mono Farbe PAL

Technisches Protokoll

3 Chip Kamera, Mini DV (Aufnahme); Video VHS (Master)

Installation: Videoabspielgerät, Monitor, zwei Fotos (1 s/w, 1 Farbe), Buch mit Texten "Sprache der Behinderung"; insgesamt 30 Videos mit inszenierten Dialogen zu 30 Behinderungen, 5 gerahmte Fotos in zwei Ausführungen (s/w, Farbe)

Mitarbeit

Zeichnung des Buchcovers und Kamera: Petra Egg

Produktion

Deutschbauer/Spring

Postproduktion

Deutschbauer/Spring

Edition

Galerie Cult, Wien / Onestar Press, Paris

Copyright

Deutschbauer/Spring

Sichtungskopie

Niederösterreichisches Landesmuseum, St. Pölten

Zum Buch "Sprache der Behinderung"