Kleine Reise   Austria   1978

Gina PANE  

Mit ?Kleine Reise? ("Petit Voyage") führte Gina Pane eine ihrer berühmtesten Performances in Wien auf. Petit Voyage ist die Darstellung einer poetischen, fiktiven Reise in mehreren, wechselnden Szenen an verschiedenen ?Standorten? im Bühnenraum, ausgeführt mittels verschiedener Medien.

Performance-Protokoll:
Gina Pane hält sich ein rechteckiges Stück Glas vors Gesicht, auf dem die Buchstaben ?B E L V E D E R E? in vertikaler Folge zu lesen sind. Sie trägt ein weißes Hemd und weiße Hose und steht still auf einem Bein - quasi als lebende Skulptur. Der Raum ist ein konventioneller Bühnenraum, begrenzt durch eine Wand, auf der die Bühnenbilder projiziert werden. Im Hintergrund sieht man ein blaues, bis zum Boden reichendes Fenster mit einem weißen Fensterkreuz. "Belvedere? wird an die Wand projiziert.
Szenenwechsel: Pane geht im Kreis um zwei Glasscheiben, die am Boden nebeneinander aufgestellt sind. Feste, immer schneller werdende Schritte. Beleuchtung der Szene: roter und gelber Scheinwerfer. Die Künstlerin läuft in schneller werdenden Rotationsbewegungen in die Scheiben hinein bis sie zerspringen und geht dann weiter auf den knirschenden Glasscherben herum.
Wechsel: Pane setzt sich hin, Dia-Projektion einer Strandszene in schwarz/weiß. Pane sitzt auf einem weißen Tuch im Schneidersitz am Boden und hält ein kleines Papiersegelschiffchen mit zwei Händen vor das Gesicht. Ganz sachte bläst sie es an, so dass es sich leise bewegt. Beleuchtet von einer Bodenlampe. Auf einem Monitor, der sich vorne links im Bühnenraum befindet, läuft ein Bild eines Segelschiffes. Licht aus, am Boden leuchtet eine blaue Glühbirne, sonst dunkel.
Szenenwechsel: Pane trägt eine Brille, deren Gläser weiß bemalt sind und wiegt den Kopf auf und ab. Sie steht vor dem blauen Fenster. Neben ihr zeichnet die Assistentin Wellenlinien auf eine gleich große, schwarze Fläche, eine Art Schiefertafel. Pane begibt sich auf die imaginäre Reise, ahmt mit ihrem Kopf die Wellenbewegungen nach. Als die Assistentin unten an der Tafel angelangt ist, steht sie auf, sagt etwas auf französisch und geht weg. Gina Pane zieht die Brille aus und schaltet den Stehleuchter aus.
Szenenwechsel: Neues Bühnenlicht. Pane kniet am Boden auf einem Knie, vor sich ein rotweiß-kariertes Tuch, auf der Nase eine neue Brille mit ebenfalls rotweiß-karierten Gläsern. Auf dem Monitor sieht man jemanden rhythmisch mit der Hand auf das eigene Bein schlagen, während alternierend ein Ball auf ein Holzkreuz geworfen wird. Mehrere Minuten lang. Dann zeichnet jemand im Monitor ein Flugzeug mit Kreide auf eine Tafel. Der dumpfe, rhythmische Ton läuft weiter. Pane steht inzwischen im Vierfüßlerstand auf dem Boden. Das Monitorbild wird abgeschaltet, Pane steht auf.
Szenenwechsel: Die Performerin steht vor einem roten Fenster mit weißem Fadenkreuz in der linken Raumhälfte. Sie greift sich mit der linken Hand über die Schulter und hält eine Rasierklinge zwischen den Fingern mit der sie sich zuerst das Hemd und dann die Haut der eigenen Schulter aufritzt. Man sieht das Blut rot durch das weiße Hemd sickern. Mehrere Minuten, immer weitere Ritzungen, ganz langsam.
Szenenwechsel: Pane geht zur letzten Station: eine blaue, an der Wand befestigte Fläche in deren Mitte oben eine gelbe Glühbirne hängt und blinkt. Die Künstlerin steht davor und fährt ganz langsam mit einem kleinen weißen Modellflugzeug darüber hinweg, dazu produziert sie Pfeiftöne. Bei der Birne angekommen, lässt sie das Flugzeug aus der Hand fallen, nimmt eine Polaroidkamera und knipst ins Publikum hinein. Das Pola entwickelt sich. Schnitt auf die Projektion eines Dias (auf der rückwärtigen Wand) mit Berglandschaft im Schnee. Schluss

Gina Pane entwickelte ihre Form der Körper- oder Bodyart aus einer längeren Auseinandersetzung mit formalistischer, minimalistischer Malerei: ?Ich wollte begreiflich machen, dass der Gegenstand und die Idee der Arbeit dasselbe sind, und das war der Körper für mich. . . . . Und wenn ich Körper sage, so meine ich nicht den Körper als Skulptur, sondern als Haltung in seinem gesellschaftlichen, politischen Kontext, ich meine auch das Unbewusste und das Bewusste. . . . Ich habe immer mit dem Fragment und der Sprache gearbeitet. In meiner Arbeit gibt es immer die Heterogenität, das Gegenteil von Einheit, von Symmetrie.?
Nachdem Gina Pane mehrere Performances mit Selbstverletzungen entwickelt hatte, gab sie diese Aktionsform zugunsten einer abstrakteren Arbeitsweise Anfang der achtziger Jahre auf: ?Mein Körper hat als Bild funktioniert. Ich habe das aufgegeben, nun ist es eine Partitur, und ich bin da, um die Verbindung zwischen dem Objekt, der Zeichnung und der Idee zu schaffen.?
Interview mit Gina Pane, erschienen in: Performance ? Eine andere Dimension, Hrsg. Künstlerhaus Bethanien, Berlin 1983, S. 153 ff.

(patgrz)


Ausstellungen

Internationales Performance Festival 1978

Galerie H, Graz (ST), Austria

Österreichischer Kunstverein, Wien, Austria

Spezifikationen

41min stereo Farbe PAL

Technisches Protokoll

Sony U-matic 3/4 inch (Aufnahme; Master)

Live-Performance am 29. April 1978 im Österreichischen Kunstverein, Köllnerhofgasse 6, Wien, im Rahmen des Internationalen Performance Festivals; Bühnenraum, Requisiten, Dia-Projektion, Monitor, Zeichnungen, Sound

Mitarbeit

Francoise Masson

Produktion

MAZ-Technik Wien

Förderung

Humanic

Edition

Österreichischer Kunstverein (1978)

Copyright

Galerie H (Humanic), Graz

Sichtungskopie

Galerie Krinzinger, Wien

Gina Pane zum Stück
Zum Internationalen Performance Festival 1978 / Organisation und Programm