Mandolinenmusik   Austria   1986

Bernhard RIFF   Franz WEST  

Mitte der 1980er Jahre war das Arsenal von Franz Wests "Passstücken" - das sind tragbare Skulpturen von körpergerechter "ungegenständlicher" Form aus Draht und Pappmaché - zwar noch nicht sehr wertvoll im Sinne des Kunstmarkts, aber doch schon einigermaßen groß an der Zahl. Ausgehend von der klassisch-avantgardistischen Tradition, Skulpturen von ihren Sockeln und damit von ihrer objektifizierenden kunsthistorischen Bedeutungsschwere zu befreien, sieht West die "Passstücke" manchmal auch als "Prothesen". Von psychiatrisch geneigten Interpreten wurden sie deswegen als "Darstellungen von Neurosen" im psychoanalytischen Sinn gedeutet, was dem Künstler selbst jedoch in einem Gespräch als zu eindimensional erscheint. Unzweifelhaft scheint jedoch, dass Wests "Passstücke" der Idee der Amalgamierung von Kunst und Lebenswelt verpflichtet sind. Sie sollen nämlich von den BetrachterInnen nicht nur betrachtet, sondern ganzkörperlich benutzt werden. Das impliziert nicht nur eine Vorstellung von Skulptur, die sich historisch an die Avantgarden des beginnenden 20. Jahrhunderts sowie an die Konzeptkunst der 60er und 70er Jahre anlehnt, sondern auch eine Vorstellung von künstlerischer Produktion, die über die "Kunst als Kunst" nicht notwendigerweise hinausgehen will.

Möglichkeiten der Benutzung der Skulpturen zeigt jedenfalls das Video "Mandolinenmusik" aus dem Jahr 1986. Die Aufnahmen sind nicht nur als Videokunstwerk zu verstehen, sondern wurden auch im Rahmen von Ausstellungen zur Vorführung von Handlungsmöglichkeiten gezeigt. Ursprünglich auf Super-8 schwarzweiß gefilmte Sequenzen von mehreren mit diversen "Passstücken" merkwürdige Bewegungen und Schrittfolgen ausführende Akteurinnen und Akteuren (darunter West selbst und sein verstorbener Halbbruder Otto Kobalek) sind mit der "Mandolinenmusik" von Beethoven untermalt. Das Video wurde durch die simple Aufnahme von einer Filmprojektion erstellt und erhielt dadurch eine Ästhetik, die an die Stummfilmzeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts erinnert - abermals eine indirekte Referenz an die Zeit von Künstlern des Dada beispielsweise, in deren Tradition sich West bewusst stellt. Diese Low-Tech-Aura wird durch die Mandolinenklänge (Ludwig van Beethoven: Komposition für Mandoline und Cembalo) noch verstärkt. Das Video wurde allerdings im Jahr 2000 von Bernhard Riff mit einer neuen Titelsequenz versehen.

Wir werden nicht nur Zeugen eines in seiner Ausdruckskraft besonderen Videos, sondern mittlerweile auch eines guten Stücks jüngerer österreichischer Kunstgeschichte. (Raab)


Ausstellungen

Franz West, 1986

Galerie Peter Pakesch, Wien, Austria

Spezifikationen

6min 30sec stereo Farbe/SW PAL

Technisches Protokoll

Ursprungsmaterial: 8mm Film, danach mit VHS direkt von der Leinwand aufgenommen, Schnitt: U-Matic, Titel im Jahr 2000 mit Media 100 digital wiederhergestellt

Mitarbeit

Lisa de Cohen (ursprünglicher Schnitt auf U-Matic)

Produktion

B. Riff/F. West

Postproduktion

B. Riff

Copyright

B. Riff/F. West

Sichtungskopie

Medienkunstarchiv Wien; Sammlung Hauser und Wirth, St. Gallen