Still "Untitled"   Austria   1996

Richard HOECK  

Richard Heoecks Arbeit Still "Untitled" ist eine Videoinstallation, die im Rahmen der Gruppenausstellung ?coming up? im Museum Moderner Kunst erstmals gezeigt wurde. Bestehend aus einem Monitor, der auf einem Sockel thront, werden wir mehr auf den Monitor als Gegenstand, denn auf seine Eigenschaften als Alltagsgerät verwiesen. Der Monitor - Fenster in einen neuen Raum - trägt mittels Sockel und Ort die Insignien einer plastischen Skulptur. Hoeck unterstreicht diese Behauptung durch die Platzierung der Installation: Still "Untitled" steht vor den Glasflächen des Museums, die den Blick auf den Skulpturengarten freigeben. Damit stellt der Künstler die Arbeit quasi zwischen in Bronze gegossenes und in Stein gemeisseltes arte factum der Moderne.

Auf dem Bildschirm zeigt Hoeck ein Videoband, dessen Aufzeichnungen eine weitere Installation behauptet und dessen Objekt der sich nahezu nicht bewegende weibliche Körper eines sogenannten Callgirl darstellt. Trotz der Nicht- Bezeichnung der Arbeit: ?Ohne Titel? stellt Hoeck mit der Verwendung von "Still" eine Reihe von sprachlichen Assoziationen an: still heisst ?noch/doch/immer noch/unbewegt/nach wie vor/noch immer/ruhig?. Gleichzeitig bedeutet "still fotograph" die Standfotografie, ein Einzelbild aus einem Film. Hoeck zeigt uns ein Einzelbild aus vielen Bildern, mit der Kamera als Waffe geht er auf Pirschgang (still hunt)? und zeichnet ein Festbild (still picture)? oder ein Stilleben (Still live)? auf.

Hoeck kauft den Service eines Callgirls an und lässt die Frau nackt, die Arme mit einer Kette gefesselt, vor einem schwarzen Vorhang posieren. Auch diese Aufnahme entstand in den Räumen des Museums Moderner Kunst: im museumseigenen Kino- und Vorführraum. Diesen Raum benutzte Hoeck, der in New York und Wien lebt, schon früher als Installationsort für seine Arbeit; siehe "Retroversionen", 1994).

Die Kamera auf sein Objekt gerichtet, beobachtet Hoeck. Er lässt sein Objekt im Unklaren darüber, welche Dienste er in der gekauften Zeit in Anspruch nehmen will. Das Posieren des Callgirls ist nicht das Posieren eines Modells vor dem Künstler, sondern impliziert das gesamte Spektrum an möglichen Phantasien, innerhalb der mit Geld bezahlten zeitlichen Verfügbarkeit (über einen Menschen). Hoecks Arbeit ist eine Auseinandersetzung mit dem Werkbegriff und mit der Machtausübung über sein Modell/Werk.

30 Minuten lang ist die Kamera auf das Callgirl gerichtet. Die Erwartungen, die Unwissenheit über den weitern Verlauf, die sich steigernde Ungeduld und die eigenen Erfahrungen des Betrachters/der Betrachterin kollidieren im Museum mit den (vermuteten) Erwartungen und Erfahrungen des Objekts innerhalb der Klammer bezahlbarer (sexueller) Begierden.
Die Blicke des Subjekts treffen sich im Kontext der Kunst. Die Blicke des Objekts bleiben in der Ungewissheit des Raumes, in der die Kamera auf die Frau gerichtet ist.

Die Darstellung verharrt in der üblichen Art pornographischer Darstellung des weiblichen Körpers in den Medien: ein gesellschaftlich konstruiertes Bild - ein Angebot: eine schöne Frau, ein schöner Busen. Die Autorschaft der durch die Kette um ihre Arme manifestierte devoten Haltung ist das Ergebnis einer geschäftlichen Vereinbarung.

?Wir leben alle seit Jahren im Reiche des Fürsten Mangogul: Beute einer ungeheuren Neugier auf den Sex, versessen darauf, ihn auszufragen, ihn sprechen zu hören, geschickt im Erfinden all der magischen Ringe, die seine Diskretion bezwingen können.? (Foulcault 1977, Bd. I, S. 97)

Die bewegten Bilder des Films - und in den letzten Jahrzehnten auch die des Videos - sind als Möglichkeit, Sex sprechen zu hören, ein Fund, der die Neugier auf Sex direkt zu befriedigen vermag: sind doch moderne Vertreter des Fürsten Mangogul in der Lage, als Beisitzer und Voyeure Akte und Facetten der sexuellen Lust selbst zu betrachten, ohne in Erscheinung zu treten. (Anstatt sich auf Erzählungen oder Mutmaßungen einzulassen).

Hoeck verwendet bewegte Bilder, beschränkt sich aber darauf, uns nur ein Bild zu zeigen. Die Möglichkeit der stetigen Wiederholung ein und derselben Sequenz ist durch den Einsatz des Mediums Video gegeben und Hoeck stellt das (Nicht-)Geschehen als ein nie enden wollendes dar.
Fazit ist: Wir erfahren weder über sein Wissen um seine Lust, noch erfahren wir über das Wissen um die Lust des Objekts, dem Callgirl. Hoeck steigert das osmotische Verhältnis zwischen der Lust (die nicht ausgesprochen wird und), die die Macht speist, und der Macht (die Hoeck ausübt und), die die Lust speist in eine Ohnmacht, die von der Lust nichts weiss. Wir wissen ferner auch gar nicht, ob die Arbeit Still "Untitled" existieren würde, hätte das Objekt vor laufender Kamera ...

Das Interesse Hoecks ist nicht die Performance der ?gemieteten Frau? ? und doch ist die scheinbare Nichtaktion eine Aktion. Wolle man hier nochmals die Verwendung des Mediums Kamera mit dem vielfach gezeichneten Bild eines Waffenangriffs gleichsetzen, ist der Schuss Hoecks einer aus dem Hinterhalt. (Suess)


Ausstellungen

coming up, 1996

MMK Stiftung Ludwig, 20er Haus, Wien, Austria

Spezifikationen

30min kein Ton Farbe PAL

Technisches Protokoll

Digital Video (DV) Format (Aufnahme); Digital Video (DV)(Master).

Installation: Einkanalarbeit: ein Monitor, ein Zuspielband.

Produktion

Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien

Förderung

Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien

Copyright

Richard Hoeck

Sichtungskopie

Medienkunstarchiv Wien

Harald Szeemann: Still