Mit vorgehaltener Hand   Austria   1999

Barbara HOLUB  

Die Kindheit als eigenständige Lebensphase anzuerkennen und darin auch gewisse magische Elemente zu entdecken, ist eine Errungenschaft unseres Jahrhunderts. Wenn Kindheit populärwissenschaftlich bei Fromm als ein Nichtvorhandensein der "Getrenntheit von der Natur, der Wahrheit und dem Gehalt" bezeichnet wird, verspricht das dem Status der Kindheit gewisse Unendlichkeiten. Gleichzeitig ereifern sich die Erwachsenen gemeinhin, jenen, die sich "das Kindliche bewahrt haben", oder jenen, die "nie erwachsen werden wollen" mitunter Neid, Intoleranz oder Missachtung entgegen zu bringen. Den Blick auf die eigene Kindheit zu thematisieren und die genannten Stereotypen zu untersuchen, ist Ausgangspunkt für die Arbeiten zum Projekt: "Mit vorgehaltener Hand".

Die "vorgehaltene Hand" spricht die Selbstkontrolle des Erwachsenenstatus an, also einen Erwachsenen, der im ständigen Bewusstsein der Aussenwahrnehmung kontrolliertes Handeln zum allgemeinen Status Quo erklärt.
"Ich habe mich oft gefragt, und ich frage mich auch heute noch, ob die einfach einem Bild nachlaufen: das ist erwachsen und also erfülle ich das... das ist so ein Kreislauf an Begründungen, wo sie selber nicht wirklich vorkommen, aber sie merken es nicht"(Gesprächsausschnitt aus dem Video).

Holub führte Gespräche mit Menschen aus ihrem spezifischen (künstlerischen) Umfeld und mit den Mitarbeitern eines Projekts des Porsche Unternehmens.
Sie führte die Gespräche vom Status einer Künstlerin her, jenem "Zustand", dem gemeinhin kindliche, spielerische Herangehensweisen zugeschrieben werden. Die Teilnahme an den Geprächen entstand spontan und die Auswahl zufällig; Holub möchte keinesfalls den Ansprüchen einer soziologischen Untersuchung entsprechen. Statt einer Umfrage ging es ihr vielmehr um ein Nachdenken über Stereotypen und um die Möglichkeiten damit umzugehen, gewisse Rollen in Frage zu stellen oder auch nicht.
"Künstlerin zu sein wäre eine Möglichkeit, ein Weg, diese Defizite aufzuholen. Mit Phantasie etwas zu schaffen. Aber irgendwie ist mir die Phantasie abhanden gekommen"(Gesprächsausschnitt aus dem Video).

Die Installation "Mit vorgehaltener Hand" zeigt unmittelbar nebeneinander zwei Videogrossbildprojektionen, die zwei 45 Minuten Loops wie eine grosse Leinwand erscheinen lassen. Die eine Hälfte des Bildes zeigt Ausschnitte aus den Geprächen mit den Erwachsenen und Spielsequenzen der Porschehof-Mitarbeiter mit einer Carrera Spielautobahn, die Holub dort iniziierte. Die andere Hälfte des Bildes zeigt Kinder, die nach Regieanweisung von Barbara Holub bestimmte Tätigkeiten ausführen: gegenseitiges Mundzuhalten, in die Ohren Flüstern...

Beide Bildhälften verzichten auf Farbe und bedienen sich der kontrastreichen Darstellung eines S/W Bildes. Die Aufnahmen mit den Kindern sind durch die Verwendung einer durchgängigen Zeitlupe bildsprachlich einer Erwachsenensicht verpflichtet, die die Kindheit posthum zum Geheimnis erklärt. (Im Bild) daneben der denkende Mensch: der Erwachsene, die Blickrichtung auf die sich selbst genügenden Kinder gerichtet, spricht der Mensch, hüllt in Worte, auf dem Sofa sitzend. Die Sprache nicht durch die Anwendung von Technik auf eine gewisse Langsamkeit getrimmt, sondern durch das Thema und Holubs Fähigkeit, Intimität zu erzeugen. Alle InterviewpartnerInnen scheinen sich der Geschwindigkeit der Kinder anzupassen. Der Erwachsene schwelgt in der Sehnsucht nach den Freiheiten der Kindheit, während auf der anderen Seite trotz Zeitlupe eine gewisse Agressivität im Spiel, bzw. beim Absolvieren der Tätigkeiten spürbar wird. Zwischengeschnittene Carrera-Bahn-Spielszenen benutzen beide Projektoren und lassen die Bilder tatsächlich zu einem werden.

Die Vielschichtigkeit der Inhalte, die Holub in den Geprächen erzeugt, macht erfahrbar wie viel Emotion die Beschäftigung mit Kindsein und Spiel freisetzt und wieviel Rationaliät eingesetzt wird, um das Wissen darum in die eigene Erlebniswelt einzubauen.
"...Kinder haben sehr menschliche Züge und die gehen verloren." (Gesprächsausschnitt aus dem Video)

Vor das zweigeteilte Videobild stellt Holub im rechten Winkel zur bespielten Wand ein sich gegenüberstehendes, fix montiertes Gestühl, das üblicherweise in Flughäfenwarteräumen Verwendung findet. Die Bestuhlung im Raum lässt den BetrachterInnen nicht nur wenig Abstand zum Bild, sondern lässt den Blick auf die Leinwand nur zu, wenn er oder sie sich selbst über die Schulter schaut.

Die Entscheidung, das Projekt in einen Transitraum zu verlagern, gründet sich in der Schaffung einer neuen Situation, in der eingeübtes Rollenverhalten abgelegt werden kann. Es unterstützt das Anliegen Holubs, die Kategorien Erwachensein/Kindsein in Frage zu stellen. Barbara Holub:
"Das Infragestellen von Autorität ist für mich interessant. Wir gewinnen immer mehr Autorität und plötzlich fällt es uns schwer, uns als Autorität in Frage zu stellen." (Gesprächsausschnitt aus dem Video)
(Suess)


Ausstellungen

P. Huyghe - B. Holub - O. Trauttmansdorff, 1999

Wiener Secession, Wien, Austria

Spezifikationen

1h 30min mono SW PAL

Technisches Protokoll

Mini Digital Video (Aufnahme); Avid Media Composer (Postproduktion); Betacam SP (Master),

Mitarbeit

DarstellerInnen: Monika Kübler, Walter Friesenegger, Peter Stiller, Markus Niedrist, Fiedrich Triebl, Andrea Neumair, Daniela Huber, Miroslav Jankovits, Gertraud Wölfler, Matthias Ebner, Karin Angerer, Dietmar Ulbing, Elfriede Stockinger, Matthias Herrmann, Desirée Schellerer, Veronika Hofer, Birgit Schlarmann, Ortrun Lanzer, Roland Ritter, Georgi Kublashvili, Rembert Rayon, Ulrike Schicho, Martin Hütter, Carol Kalb, Josephin Kalb, Tristan Kalb, Angela Heller, Sophia Heller. Regie/Kamera: Barbara Holub; Gestaltung: Petra Zöpnek; Musik: Lichtenberg.

Produktion

Barbara Holub

Postproduktion

Institute for Culture, Design, Technology, Linz (v

Förderung

Secession, Wien; Institute for Culture, Design, Technology, Linz (vormals: Archimedia, Linz/vormals: Art & Tech Institute, Softwarepark Hagenberg)

Copyright

Barbara Holub

Sichtungskopie

Medienkunstarchiv Wien