magliana   Austria / Italy   1998

Moira ZOITL  

Das Hauptgebäude des TV Senders Stellare in "Ginger und Fred" von Federico Fellini, die Arbeitersiedlungen in Pier Paolo Pasolinis "Mamma Roma", Rosellinis Rom in "Roma, citt? aperta" - Sequenzen aus den Genrefilmen des italienischen Neorealismus und gleichzeitig Architektur der (durch die Cinecitt? auch Film-) Stadt Rom, die mit den Inhalten verschiedenster Geschichten zu Filmarchitektur aufgeladen wird.
Ralf Hoedt und Moira Zoitel untersuchen in ihrer Zusammenarbeit die mediale Repräsentation von städtebaulicher Architektur. In der Ausstellung "case study: citt? aperta" zeigten sie einen Zwischenbericht der Auseinandersetztung mittels medialem Material: Set-Fotographien von den Dreharbeiten des von ihnen produzierten Videos "magliana" und von Architektur verschiedenster, in der Ausstellung zitierter Filme; Reprofotographien aus Architekturführern, Filmplakate, Videos.

Den Ausstellungstitel verwenden Ralf Hoedt und Moira Zoitl als eine Beschreibung der Ausfransung moderner Städte. "Die Stadt ist heutzutage nichts klar Abgegrenztes mehr. Stadtentwicklung findet nicht im historischen Zentrum, sondern an den Grenzen, an der Pheripherie statt. Dort breiten sich neue Industrie- und Wohnsiedlungen immer weiter aus. Das Motto der 50er und 60er Jahre von der autogerechten Stadt ist in ihnen Realität geworden."
(Cosima Reiner; "case study: citt? aperta", in: magazin, Salzburger Kunstverein, 1998)

Getreu dieser Realität verfolgt die Videoarbeit magliana zunächst einmal eine Schauspielerin, die die Autobahn entlang des Industrieviertels "Magliana" fährt. Der Blick der Kamera aus dem Fenster zeigt, dass Walter Gropius' Forderung aus den 20er Jahren Realität geworden ist: danach nämlich solle die Architektur in ihreren Ausformungen auf die Geschwindigkeit des Automobils reagieren. Keine Details also, sondern grosse Formen; keine Gegend für einen Spaziergang, bestens geeignet aber, um mit einem grossen Auto mit Automatic Getriebe, Wechsel CD-Spieler und Getränkedosenhalter mit quietschenden Reifen in die nächste Szene zu fahren. Der Stadtteil "magliana" erfüllt diese gängigen Funktionsansprüche an urbane (Film-) Architektur mitnichten.

Die Frau spricht über ihre Gefühle beim Autofahren. Fahren, mobil sein, von A nach B gelangen - als meditative Möglichkeit zwischen funktionaler Assistenz der Alltagsbewältigung. Es erscheine ihr, als falle alles andere von ihr ab, ein seltsames Gefühl der Euphorie komme beim Fahren auf. Schier ohne filmischen Hinweis wechseln die Realitätsebenen: inmitten eines grünen Rasens vor dem imposanten 60er Jahre Verwaltungsbau der Esso-Gesellschaft sitzt die Frau nun als eine, die sich selbst beobachtet: "Meine individuelle Körperlichkeit ist ausgeblendet, durch Glasscheiben und Metall verdeckt." Teil der Architektur?

"Die Frau sieht Autos mit kaum differenzierten Gestalten, erdachten, imaginären Personen, die sich in der Kolonne vorwärts bewegen." Kulisse dieses Geschehens ist das Uffici della Esso von Julio Lafuente: drei nebeneinander gestellte Fächer, gleich neben der Autobahn. Nun schaltet die Frau ein weiteres Medium zu: eine auf Tonband aufgenommene Stimme spricht von den ohne Mikrophon aufgenommenen Stimmen, die "mit umwerfender Deutlichkeit in leeren Räumen mitgeschnitten werden können". Unmittelbar nach einer, von einem italienischen Schauspieler gesprochenen Passage über die architektonische Bedeutung des Gebäudes als plug-in-city, folgt eine Textpassage aus den Film "Ginger und Fred"; gesprochen vom gleichen Schauspieler und im selben Tonfall. Hier wird das Gebäude zum Sendegebäude einer Fernsehgesellschaft.

Das Springen zwischen den Ebenen: die Architektur spricht zum Betrachter, der Betrachter spricht zur Architektur, die Architektur spricht im Film, der Film spricht zur Architektur ... lässt die scheinbar nüchterne Autofahrt rund um das besprochene Gebäude in dieser Videoarbeit zur Vehikel surrealer Erfahrungsfähigkeit urbaner Architektur werden. Ralf Hoedt und Mora Zoitl zeigen das Ausfransen der Wahrnehmung am Schauplatz citt? aperta. Offen nicht nur die Ränder der Stadt innerhalb des Städtebaus, sondern auch die Stadt selbst: beliebig aufladbar in den einzelnen Repräsentationsebenen und ohne Grenzen innerhalb einer magischen Wahrnehmung. Ausschnitte einzelner Tracks aus dem Richard D. James Album von Aphex Twin unterstützen diese magisch-surreale Komponente der konzeptuellen Arbeit. In der Ausstellung wirken die grossen schwarz-weissen Set Fotografien von der Schauspielerin Elisabetta Valgoi wie Beweise der filmischen Tätigkeit innerhalb der uneindeutigen Erfahrung eines absurden Zusammentreffens. (Suess)


Ausstellungen

Ralf Hoedt, Moira Zoitl. Case study: cittá aperta, 1998

Salzburger Kunstverein, Salzburg (S), Austria

Spezifikationen

11min 5sec mono Farbe/SW PAL

Technisches Protokoll

Mini Digital Video Camera Sony 1000 (Aufnahme); Media 100 (Digital Schnitt); Beta SP (Master)

Mitarbeit

Schauspielerin: Elisabetta Valgoi; Stimmen: Antonio Latella, Moira Zoitl; Kamera: Moira Zoitl, Ralf Hoedt; Musik: alphex twin, Richard D. James

Postproduktion

Zone, Wien

Förderung

Kunstverein Salzburg, Bundeskanzleramt Sektion Kunst

Edition

Zone

Copyright

Moira Zoitl

Sichtungskopie

Zone, Wien; Medienkunstarchiv Wien

case study:citt? aperta
case study:citt? aperta, Cosima Rainer (english)