o.T., (Oktober 1993, Latex)   Austria   1993

Max BOEHME  

Die Videoarbeit o.T., (Oktober 1993, Latex) ist eine von Oliver Hirschbiegel, Eschi Fiege und Andare Pecher dokumentierte Performance von Max Boehme. Max Boehme zieht bei dieser Arbeit, mit grossen körperlichen Kraftanstrengungen und sozusagen als Abschluss seiner Personale in der Wiener Ballgasse, das Ausgestellte selbst von den Wänden. Zuvor nämlich bestrich Boehme die Wände und Decken der Galerie vollständig mit Latex - jener aus Harz gewonnenen, künstlichen Haut, aus der üblicherweise Babyschnuller, Handschuhe, Stiefel und Tauchererbrillen hergestellt werden. Die Eigenschaften des Naturprodukts sind bestechlich: beste Hautverträglichkeit gesellt sich zu hundertprozentig wasserdicht.

Das flüssige Material lässt sich leicht auftragen und erreicht im getrockneten Zustand einen hohen Grad an Elastizität, d. h. es lässt sich nur schwer von Wänden und Decken abziehen. Der Anstrich als gallerteartiges, organisches Objekt der Ausstellung, schiebt sich zwischen BesucherInnen, Wände und Decke des Galerienraumes.
Böhme zieht also zwischen Galerieraum und Raumbegrenzung eine zweite Haut ein und markiert damit eine Schutzschicht zwischen Innen und Aussen. Am letzten Tag der Ausstellung entfernt der Künstler das Objekt: er nimmt eine Defloration der Galerie vor. Zu dieser Aktion ladet er Freunde, mit der Bitte ihre Videokameras mitzubringen, um die "Tätigkeit, wie ich der Galerie die Haut abziehe" (Max Boehme) auf Band festzuhalten.

Aus rund sieben Stunden Material montiert Boehme sieben Minuten Häutung. Für den Ton verwendet Boehme ausschliesslich Originalton, nicht aber das synchrone Audiomaterial zum jeweiligen Bild. Diese Praxis unterstützt den Eindruck eines unaufhörlichen, stetigen Abschälens des hartnäckigen Materials von der Wand und der Decke.
Die Videodokumentation der Aktion zeigt die verschiedenen Stufen der Ästhetik des Raumes und Stufen einer harten körperlichen Arbeit. Am Anfang steht die Entschlossenheit des Performers die zähe Haut zu zerstören. Im Mittelteil der Videoarbeit ist der Künstler zwischen Haut und Wand in Gefahr, selbst Teil der Haut zu werden. Im Sinne des Wortes dazwischen agierend, wird er zu einem aus diesem beengenden Raum Ausbrechender, als gälte es um jeden Preis zu verhindern, nicht eins mit der transparenten Schale zu werden. Brechungen jener Lebensfreude des Aufbruchs, durch zermürbende kleine Schritte des Fortschritts, Zweifel am Tun überhaupt, Gegenarbeit der Elastizität: Boehmes Performance liest sich wie ein Drehbuch jener Anti-Kunst Ästhetik, dessen Vertreter Boehme einer ist.

Die Nahaufnahmen am Schluss der Videoarbeit zeigen malerische Stills des abgenommenen Materials. Diese Bilder weisen eine hohe Affinität zu Boehmes eigener Malerei auf, in der die körperliche Arbeit mit dem Material, dem Detailausschnitt des Bildes immer voran geht.

In einer Ausstellung des Grazer Kunstvereins, zu der er befreundete KünstlerInnen einlud mit auszustellen, projizierte Boehme o.T., Oktober 1993, Latex an die Wände der Galerie; die Wiederholung der Häutung eines Galerienraumes wurde so simuliert und ganz den Geräten überlassen. (Suess)


Ausstellungen

Max Boehme, 1993

Galerie Ballgasse, Wien, Austria

Boehme, Clavadetscher, Hodl, Schumacher, 1994

Grazer Kunstverein, Graz (ST), Austria

Spezifikationen

9min 30sec mono Farbe PAL

Technisches Protokoll

High 8, VHS, Video8, (Aufnahmen); U-Matic HB (High Band) analog Schnittsystem; U-Matic HB (Master)

Mitarbeit

Elisabeth Fiege, Oliver Hirschbiegel, Andare Pecher, (Kamera); Gerd Berner (Schnitt)

Produktion

Galerie Ballgasse

Postproduktion

Filmhaus Wien

Förderung

Filmhaus Wien

Copyright

Max Boehme

Sichtungskopie

Medienkunstarchiv Wien

Robert Fleck über Max Boehme, 1997