Martin Krenn und Oliver Ressler verstehen sich als Arbeitsgemeinschaft, die über die Grenzen eines kunstspezifischen Territoriums hinaus an politischen Debatten teilnehmen will. Anlass für die gemeinsame Arbeit ist die seit Mitte der 90er Jahre von Krenn und Ressler geortete ?Erstarkung rassistischer und neurechter Ideologien in Österreich?. Ihre politischen Interventionen werden durch das Einbringen ?neuer Sichtweisen? und der expliziten Darstellung einer Meinungsvielfalt bzw. der Darstellung von Gegenargumenten verschiedener Organisationen erarbeitet.
So wurden beispielsweise Themenbereiche wie Rhetorik der neuen Rechten, Rassismus in staatlichen Institutionen oder der Gebrauch von nationalistischer Sprache in Schulbüchern erforscht und die Ergebnisse dieser Untersuchungen medial umgesetzt: Befragungen, Postwurfsendungen, Videos, Plakate und Aktionen im öffentlichen Raum sind einige der Instrumentarien innerhalb der Arbeit von Krenn und Ressler, die sowohl im Kunstkontext als auch im politisch-öffentlichen Raum zur Betrachtung und Diskussion kommen.
Dienstleistung Fluchthilfe ist eine Grenzlandforschung am Beispiel der illegalisierten Migration. Recherchen der beiden Künstler an der suedsteirischen-slovenischen Grenze ergaben, dass fast die Hälfte der (durch das Institut L&R Sozialforschung) befragten EU - GrenzlandbewohnerInnen befürworten, dass im Herkunftsland bedrohte Menschen, ein Recht auf Asyl und einen Arbeitsplatz haben sollen. Nur 12% der Befragten sind sicher, dass genau diesen Menschen politisches Asyl in Österreich gewährt werden würde. Mehr als die Hälfte glaubt nicht, dass politisch verfolgte Menschen in Österreich Zuflucht finden. Gleichzeitig sind Begriffe, die von Fluchthilfe handeln, allgemein negativ konnotiert: ?Schlepper? gelten als kriminell, auch wird das Thema Fluchthilfe von der Bevölkerung nicht als real existent in Hinblick auf die Möglichkeit einer persönlichen Betroffenheit verstanden.
Genau hier setzen Krenn und Ressler an: an der negativ besetzten Begrifflichkeit von Schlepperei und Fluchthilfe und am Gefühl der Nichtbetroffenheit im Gebiet der Schengengrenze (EU- Aussengrenze). Zum einen akzeptiert das Künstlerduo die von Legislative und Exekutive als kriminell geahndete Handlung der Fluchthilfe (und auch der Flucht selbst) nicht als negativen Akt, sondern verweist auf die Notwendigkeit der Normalisierung der Begriffe hin zu Bewertung dieser Akte als Zivilcourage oder/und professioneller Dienstleistung. Zum anderen beziehen die Künstler die suedsteirischen Grenzbewohner in ihre Untersuchung mit ein, indem sie sie in ihrer Nicht-Betroffenheit nicht ?in Ruhe lassen?, sondern vielmehr die MigrantInnen und deren Status im Grenzgebiet als etwas darstellen, das gerade auch sie angeht, weil es sehr wohl persönliche Berührungspunkte zu den Grenzbewohnern gibt. (O-Ton eines Bürgermeisters aus dem Gebiet: ?So was gibt?s bei uns nicht?)
Ein dem Sujet und der Gestaltung nach eher an ein populistisches FPÖ-Hetzblatt oder an die Bildzeitung erinnerndes ?Bürgerblatt? (vgl.?Wir Wiener?) angelehntes ?Neues Grenzblatt? wurde in einer Auflage von 16.000 Exemplaren als Postwurfsendung an 12.000 Haushalte an der gesamten EU Aussengrenze in der Steiermark verteilt.
Die Titel: "Service mit Qualität" / "Umfrage in der Steiermark" / "Bilder von der steirischen Grenze" zeigen ganz klar den lokalen Access zu den EmpfängerInnen und machen wohl viele auch zu LeserInnen. Der Inhalt vereinigt Texte von antirassistischen Gruppen und MigrantInnenorganisationen, die aus ihrer Perspektive Fluchthilfe beleuchten: zum einen ist Fluchthilfe z. B. als Unterschlupf während der Flucht für einen in Not geratenen Menschen eine Handlung für die sich jedes Individuum selbst entscheiden muss, auch auf die Gefahr hin, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten, und zum anderen eröffnet ein Bedarf an dieser Dienstleistung einen Markt, der auch nach den Gesetzen der Wirtschaftlichkeit handelt (Schlepperei ist ein Geschäft).
Die Begriffe Schlepperei, Flucht und Migration letztlich als positiv zu benennen, die Gründe für Migration nach Österreich und die Folgen der Kriminalisierung aufzuzeigen und eine Art Vernetzungsarbeit bzw. Repräsentanz von antirassistischen Gruppierungen zu leisten, ist somit auch künstlerisches Ziel von Krenn/Ressler.
Die Videoarbeit Dienstleistung Fluchthilfe ist Teil des Projekts und befragt Menschen, die illegalisiert worden sind: Taxilenker des Berliner Unternehmens Taxitas, die vom Deutschen Bundesgrenzschutz unter Androhung von Haftstrafen aufgefordert worden sind, keine ?offensichtlich illegal eingereisten Personen? zu befördern; Exekutivbeamte, die den Begriff der Schlepperei deuten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, die die Lebensbedingungen von illegalisierten Asylsuchenden beschreiben und anonyme Personen, die Verbindungen zu Fluchthilfeorganisationen unterhalten. Auch hier arbeiteten Krenn/Ressler mit ExpertInnen auf dem Gebiet Migration und Fluchthilfe zusammen: u. a. mit THE VOICE e. V. Africa Forum, Human Rights Group, FFM Forschungsgesellschaft Flucht und Migration und TATblatt.
In Ausstellungen wird das prozesshafte des Projektes dahingehend unterstrichen, dass jeweils neue lokale Bedingungen in die jeweilige Präsentationsform einfliessen; so wurde beispielsweise im Kunstraum Lüneburg mit Studierenden der Universität Lüneburg an einem Videoprojekt gearbeitet, das die Migrationserfahrungen von Jugendlichen thematisiert.
Dienstleistung Fluchthilfe ist Grenzlandforschung und wurde im Rahmen von "Kulturlandschaftsforschung Kunst und Wissenschaft? vom damaligen Bundesminister f. Wissenschaft und Verkehr Caspar Einem iniziiert und von Wolfgang Zinggl kuratiert. (Suess) |